Das Klima und Ich

Ein Text über den Klimawandel? Na, dann viel Glück. Etwa so klangen die Reaktionen in den letzten Monaten. Viel zu kompliziert, warnten einige. Andere fürchteten, ich könnte zur Anklageschrift ansetzen. Dabei wollte ich lediglich zwei Fragen nachgehen, die mir seit einiger Zeit keine Ruhe lassen: Was bedeutet der Klimawandel für mich, als Mensch, als Konsument? Und warum sprechen wir kaum darüber?

Vom Klimawandel hörte ich erstmals in der Schule. Ich erinnere mich an Skizzen mit roten Pfeilen, welche die Sonnenwärme symbolisierten. Sie trafen auf die Erdoberfläche, wurden von dort reflektiert und dann erneut von der Atmosphäre auf die Erde zurückgeworfen. Das Resultat: Es wird wärmer auf unserem Planeten. Seit meiner Schulzeit blieb der Klimawandel für mich eine rationale Angelegenheit. Ein abstraktes Problem, das aus Gründen der Vernunft gewisse Anpassungen erfordert. Ich verzichte deshalb seit einiger Zeit grösstenteils auf Fleisch und importierte Lebensmittel. Und ich fliege so wenig wie möglich, letzteres mit mässigem Erfolg. Ich habe meine Flugreisen der letzten zehn Jahre gezählt: Es waren knapp 40. Die meisten davon aus beruflichen Gründen, doch die Umwelt kümmert das nicht.

Dünnhäutig am Küchentisch

Meine Gefasstheit angesichts des drohenden Klimawandels verlor ich an einem milden Frühsommermorgen im vergangenen Jahr. Die Schülerproteste waren damals noch in weiter Ferne. Ich erwachte nach wenigen Stunden Schlaf auf dem Fussboden in der Wohnung von Freunden und wankte in die Küche. Wir waren am Abend zuvor von einem kleinen Festival in der Westschweiz zurückgekehrt. Auf dem abgewetzten Küchentisch entdeckte ich eine Zeitung des Vortages. Ich blätterte müde durch das Papier, als ein Interview mit dem deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber mich aus meiner Benommenheit weckte.

In drastischen Worten, wie ich sie von einem Wissenschaftler zuvor noch nie gelesen hatte, warnte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung vor dem Klimawandel. Er sprach vom Irrsinnstempo, mit dem wir uns gerade in eine Heisszeit beamen, von 140 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050, von sterbenden Korallenriffen, schmelzenden Eisschilden und einer Erderwärmung um – im Extremfall – sechs bis acht Grad.

Er klagte, wir hätten uns alle viel zu lange aus der Verantwortung gestohlen und forderte, jeder solle «verdammt noch mal» etwas beitragen. Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekämen, warnte er, «brauchen wir über Einkommensverteilung, Rassismus und guten Geschmack nicht mehr nachzudenken».

Wohl die allermeisten in unserer Informationsgesellschaft haben sich einen wirksamen Filter zugelegt, der unsere Gefühlswelt zuverlässig vor der Nachrichtenflut schützt. Angesichts der täglich vermeldeten Krisen und Katastrophen könnten wir anders kaum funktionieren. An jenem Morgen am Küchentisch bahnten sich die Worte des Klimaforschers jedoch ungehindert ihren Weg in mein emotionales Zentrum und setzten sich fest. Vielleicht lag es an den durchfeierten Nächten, die mich dünnhäutig gemacht hatten. Ich stellte mir in den folgenden Wochen immer wieder die Frage: Wenn wir die Prognosen der Wissenschaftler ernst nehmen, können wir dann weiterhin konsumieren, wie es uns gefällt?

Die erwähnten Freunde, bei denen ich an jenem Morgen erwachte, waren erst kurz vorher von einer einjährigen Reise zurückgekehrt. Rund um die Welt im Flugzeug, von Europa nach Südamerika, Ozeanien und Asien. In Japan verbrachten wir ein paar Wochen zusammen, über den Umweltaspekt unserer Reisen sprachen wir so gut wie nie. Nun hatte das Thema für mich mit einem Mal eine Dringlichkeit entwickelt, wie ich sie zuvor nicht gespürt hatte. Und ich vermutete still: Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass im Bauch meiner Partnerin ein kleiner Mensch heranwächst, der sein Leben auf einem möglichst gesunden Planeten verbringen soll.

Im Aktionstraining

Ein paar Wochen später sitze ich auf dem Betonboden eines verlassenen Industriegebäudes. Es ist August, die Luft heiss und trocken, der letzte Regen liegt mehrere Wochen zurück. Ich sitze Schulter an Schulter, Rücken an Rücken mit Frauen und Männern. Die Arme ineinander verschränkt, bilden wir eine Menschenkette in der leeren Halle. Von der gegenüberliegenden Seite des Raums nähert sich mit raschen Schritten eine weitere Gruppe, in ihren Händen halten sie lange Rohre aus Pappkarton. «Polizei, verlassen Sie sofort den Platz!», rufen sie mit glaubhaft gespielter Aggressivität. Als uns die Spiel-Polizisten erreichen, packen sie uns an Händen und Füssen, ziehen uns auseinander, fesseln unsere Hände und tragen uns zur Seite.

Ich befinde mich an einem sogenannten Aktionstraining in der Agglomeration von Basel. Umweltaktivistinnen und -aktivisten haben hier auf einem alten Fabrikareal für eine Woche ein Klimacamp errichtet. Eine kleine Zeltstadt mit Vorträgen, Workshops und Trainings. Ich bin gekommen, um jene Menschen kennenzulernen, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen und zum Thema machen wollen, worüber die meisten von uns schweigen.

Über den Klimawandel sprechen, das ist für viele der Aktivistinnen und Aktivisten im Camp nicht genug. Für den nächsten Tag ist eine Blockade des Basler Ölhafens vorgesehen, über den rund ein Drittel des gesamten Mineralöls in die Schweiz gelangt. Niemand von den Anwesenden weiss, wie die Polizei auf diese illegale Aktion reagieren wird. Wird es Verhaftungen geben, Tränengas eingesetzt werden, zu einer Räumung kommen? Auf diese Möglichkeiten soll uns das Aktionstraining in der Fabrikhalle vorbereiten. Wir lernen, wie sich Reizgas aus den Augen spülen lässt, weshalb wir eine Bezugsgruppe brauchen und wie wir unsere persönlichen Grenzen setzen. «Jeder muss für sich selber herausfinden, wie weit er bereit ist zu gehen», sagt der Leiter des Trainings.

Es sind mehrheitlich junge Menschen zwischen 20 und 30, die an diesem Nachmittag zu Dutzenden das Areal bevölkern. Sie sind aus der ganzen Schweiz angereist, einige auch von weiter weg, aus Deutschland und Österreich. Das Küchenteam hat Reis mit Gemüse gekocht, den Helfer für einen kleinen Unkostenbeitrag in einem Zelt ausgeben.

Wie ich in Gesprächen feststelle, verbinden viele der Aktivisten und Aktivistinnen die Forderung nach effektivem Klimaschutz mit grundsätzlicher Kritik am Kapitalismus. Marco Jenni, der beim Aufbau des Klimacamps mithalf, sagt mir bei einem Becher Kaffee: «Was wir wollen, ist eine soziale Revolution.» Der 27-Jährige arbeitet als Umweltwissenschafter, ist seit vielen Jahren Teil der Umweltbewegung und international gut vernetzt. Den Glauben, dass die etablierten Machtstrukturen die Menschen rechtzeitig zu einem Umdenken zwingen wird, hat er aufgegeben. «Wir leben in einem kapitalistischen System, wo nur der kurzfristige Profit zählt. Wenn wir den Wachstumszwang nicht überwinden, werden wir auch unseren Planeten nicht retten können.» Zu dem Zeitpunkt wirkt das auf mich noch ziemlich realitätsfremd und ich frage mich, ob diese radikale Haltung nicht vielmehr potenzielle Sympathisanten verschreckt.

In mir wächst der Eindruck, dass wir in einem Zustand des kollektiven Verdrängens leben. Wir stehen womöglich vor der grössten Umweltkatastrophe in der Geschichte der Menschheit. Ich stelle mir vor, wie das Thema regelmässig unsere Gespräche bestimmen könnte. Wir uns in kleinen Gruppen treffen und darüber diskutieren, was wir gegen den Klimawandel tun könnten, und gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen. Wir könnten die Schönheit der Natur feiern, gemeinsam Planet Earth schauen und uns vergegenwärtigen, an was für einem wunderbaren Ort wir leben. Oder unsere Wut darüber zum Ausdruck bringen, wie wenig in den vergangenen 20 Jahren geschehen ist, dass immer tiefere Erdöllagerstätten angezapft und die Flugtickets Jahr für Jahr billiger werden. Doch statt uns mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen, haben wir ihn über Jahre totgeschwiegen. Ignoriert, aus unseren Köpfen und Gesprächen verbannt.

Irgendwie gehöre ich dazu

Als ich am nächsten Morgen am Ölhafen ankomme, sind die Zufahrtsstrassen bereits blockiert. Knapp 100 Klimaschützer sitzen in weissen Schutzüberzügen auf dem Boden, ein paar Transparente flattern von hohen Zäunen im Morgenwind. «Climate Justice», steht darauf und «System Change not Climate Change». Die Morgensonne verspricht erneut einen drückend heissen Tag, keine Wolke steht am Himmel. Der Hitzesommer 2018 bestimmt auch die Schlagzeilen: Die Zeitungen berichten von Bächen, in deren warmem Wasser die Fische ersticken. Von Bauern, die wegen der Trockenheit so viel Heu importieren wie nie zuvor. Und von den Wäldern, deren Bäume bereits jetzt, im August, ihre Blätter verlieren.

Im Ölhafen treffe ich auf eine Gymnasiastin aus Basel, die sich zum ersten Mal an einer Aktion von Klimaschützern beteiligt. Auf einen 40-Jährigen aus Zürich mit einem regenbogenfarbenen Einhorn auf dem T-Shirt, der seit vielen Jahren als Aktivist lebt und dafür sein grosses Erbe verbraucht. Eine junge Frau aus Köln, die einen dezidiert pessimistischen Blick auf unseren Planeten pflegt und dennoch nicht einfach so aufgeben will. Eine ältere Frau mit Brille und ergrauendem Haar, die zu mir sagt: «Der Klimawandel hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Als ich merkte, dass in meinem Umfeld niemand darüber sprechen will, habe ich mich dieser Bewegung angeschlossen.»

Langsam verstehe ich: Das hier ist ein Sammelbecken für all jene, die nicht länger zuschauen wollen. Und irgendwie gehöre wohl auch ich hier dazu.

Die Blockade zeigt Wirkung: Der Hafen bleibt an diesem Tag geschlossen, und Medien aus der ganzen Schweiz berichten darüber. Die Polizei beobachtet die Aktion aus der Distanz, alles bleibt ruhig. Gegen Ende des Nachmittags machen sich einige Aktivistinnen und Aktivisten auf den Rückweg ins Camp, andere blockieren die Zufahrt bis zum nächsten Morgen.

Ich setze mich aufs Fahrrad und kehre, ermutigt von den vielen Gesprächen, in meinen Alltag zurück. Während ich durch den Wald fahre, fasse ich einen Vorsatz: Ich will nicht länger über den Klimawandel schweigen.

In den kommenden Wochen greife ich bei gemeinsamen Essen oder an Abenden an der Bar immer wieder das Thema auf. Dass ich damit nerve, nehme ich in Kauf. Ich höre von Freunden, dass sie ihr eigenes Gemüse anpflanzen und nach streng ökologischen Kriterien leben, Klimaschutz aber als Privatsache betrachten. Andere, die in ihren Ferien regelmässig ans andere Ende der Welt reisen, zucken auf ihre CO2-Bilanz angesprochen nur mit den Schultern. Ich stelle fest: Wirklich über das Thema sprechen mag kaum jemand. Bei einem Abendessen unter freiem Himmel kommt für einmal tatsächlich eine etwas längere Diskussion zustande. Alle am Tisch sind bewusste Konsumenten, bemühen sich um ein nachhaltiges Leben. Doch einsetzen für mehr Klimaschutz mag sich niemand. «Das muss die Politik lösen», lautet der Konsens.

Kollektive kognitive Dissonanz

In mir wächst der Eindruck, dass wir in einem Zustand des kollektiven Verdrängens leben. Wir stehen womöglich vor der grössten Umweltkatastrophe in der Geschichte der Menschheit. Ich stelle mir vor, wie das Thema regelmässig unsere Gespräche bestimmen könnte. Wir uns in kleinen Gruppen treffen und darüber diskutieren, was wir gegen den Klimawandel tun könnten, und gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen. Wir könnten die Schönheit der Natur feiern, gemeinsam Planet Earth schauen und uns vergegenwärtigen, an was für einem wunderbaren Ort wir leben. Oder unsere Wut darüber zum Ausdruck bringen, wie wenig in den vergangenen 20 Jahren geschehen ist, dass immer tiefere Erdöllagerstätten angezapft und die Flugtickets Jahr für Jahr billiger werden. Doch statt uns mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen, haben wir ihn über Jahre totgeschwiegen. Ignoriert, aus unseren Köpfen und Gesprächen verbannt.

Dieses irrationale Verhalten erklärt die Psychologie mit dem Modell der kognitiven Dissonanz, auf das ich im Netz gestossen bin. Es beschreibt, wie wir damit umgehen, wenn unterschiedliche Gedanken oder Wünsche nicht oder nur schwer miteinander vereinbar sind. In der Tat stellt uns auch der Klimawandel vor nur mit grosser Mühe überwindbare Widersprüche.

Als Kinder einer kapitalistischen Gesellschaft wurden uns die grossen Konsumversprechen in die Wiege gelegt. Wir wollen schön wohnen, gut essen, uns hübsch kleiden und in den Ferien in fremde Länder fliegen. All diese Versprechen haben aber, so wie die breite Masse sie sich erfüllt, einen entscheidenden Haken: Sie zerstören den Planeten.

Bio einkaufen, Abfall trennen, E-Bike fahren: Das alles mag uns ein gutes Gewissen verschaffen. Aber machen wir uns nichts vor. Die Wissenschaft lässt keinen Zweifel daran, was jeder Einzelne ändern müsste: weniger Kinder haben, nicht mehr fliegen, auf Fleisch und aufs Auto verzichten. Wenn wir uns ernsthaft mit dem Klimawandel und unserer Rolle darin auseinandersetzen, bleibt keine andere Möglichkeit: Wir müssen unser Konsumverhalten grundlegend ändern. Und da wird es existenziell. Denn was bleibt von uns übrig, wenn wir nur noch ein Kind haben und auf die Ferien in Sri Lanka verzichten? Wofür arbeiten wir dann noch fünf Tage die Woche von morgens bis abends? Längst nicht alle haben erkannt, dass sich herrliche Ferienorte auch mit dem Zug erreichen lassen und Essen auch ohne Schnitzel hervorragend schmeckt.

Und selbst wenn: Lässt sich dieses Dilemma überhaupt lösen in einem System, das auf stetig wachsenden Konsum ausgerichtet ist? Oder liegen die Aktivisten vom Basler Ölhafen richtig, wenn sie behaupten, wirksamer Klimaschutz brauche einen Systemwandel? Diese Überlegungen begleiten mich in den Herbst.

Über dem Mittelland hängt eine zähe Nebeldecke und für die Schweizer Politik steht eine wichtige Prüfung bevor. Im Bundeshaus in Bern beginnt Anfang Dezember 2018 die Wintersession. Hauptgeschäft im Nationalrat: das neue CO2-Gesetz. Mit diesem will der Bundesrat die Grundlage dafür schaffen, dass die Schweiz die Klimaziele von Paris einhalten und die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 reduzieren kann. Nun soll der Nationalrat über das Gesetz befinden. Es geht im Kern um die Frage, wo wir Treibhausgase reduzieren sollen und mit welchen Massnahmen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Schweiz in Zukunft 60 Prozent der Treibhausgase im Inland einspart. Dafür will der Bundesrat unter anderem die CO2-Abgaben erhöhen und die Anforderungen an Gebäude und Neufahrzeuge verschärfen.

Kindergarten im Bundeshaus

Die Debatte im Nationalrat beginnt an einem Montagnachmittag. Ich liege mit Grippe im Bett und verfolge die Diskussionen mit schweissnasser Stirn im LiveStream. Ich will wissen: Können wir Konsumenten uns tatsächlich entspannt zurücklehnen und uns in Sachen Klimaschutz auf die Politik verlassen?

Gleich zu Beginn der Debatte wird klar, wie tief die politischen Gräben beim Klimaschutz sind. Eine Gruppe von SVP-Parlamentariern findet die Vorlage des Bundesrats zu drastisch und fordert Nichteintreten. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kritisieren grüne Politiker, die Vorlage sei viel zu mild; sie wollen das Gesetz deshalb an den Bundesrat zurückweisen.

«Leider ist die Vorlage, wie sie der Bundesrat präsentiert, ungenügend», kritisiert der Grüne Bastien Girod. Er fordert schärfere Bestimmungen für den Rückbau von Erdölheizungen, Vorschriften für den Finanzplatz und klare Reduktionsziele im Inland.

Christian Imark von der SVP erklärt dem Parlament, «dass wir das Weltklima von der Schweiz aus praktisch nicht beeinflussen können» und warnt vor den Folgen für die Industrie. «Ich beantrage Nichteintreten. Wir plädieren dafür, dieses Gesetz weiter abzuschwächen.»

Gegensätzlicher könnten die Perspektiven nicht sein. Das Parlament entscheidet trotz den Anträgen, auf das Gesetz einzutreten. Insgesamt zwölf Stunden diskutieren die Volksvertreterinnen und -vertreter in den folgenden Tagen darüber, was die Schweiz zum Klimaschutz beitragen soll. Über die Zulassung von Gaskraftwerken, Ölheizungen und Flugticketabgaben. Besonders umstritten ist die Frage, wo die Schweiz den Ausstoss von Treibhausgasen einsparen soll – in der Schweiz oder im Ausland.

Einer bürgerlichen Allianz aus SVP und FDP gelingt es in den nächsten Tagen, den Gesetzesentwurf des Bundesrats Schritt für Schritt zu demontieren. Zuerst verhindert sie ein verbindliches Reduktionsziel, dann den Einbezug der Finanzindustrie und ihrer Investitionen, wie es das Klimaabkommen von Paris eigentlich vorsehen würde. Zuletzt beschliesst eine äusserst knappe bürgerliche Mehrheit, dass die Schweiz alle ihre Emissionen mittels Zertifikaten im Ausland kompensieren kann. Das ist Lichtjahre von dem entfernt, was der Bundesrat vorgeschlagen und die linken Parteien gefordert hatten.

Zusehends kippt die Stimmung im Saal. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran tritt wütend ans Rednerpult. Den Bürgerlichen sei jeglicher Mut abhandengekommen, kritisiert sie. «Es geht hier um die Rettung unseres Planeten, mit allen Lebewesen darauf, um die Lebensgrundlage von uns allen – um nicht mehr und sicher um nicht weniger!» Weitere Politiker schliessen sich in ihrer Entrüstung an. Ganz zum Schluss der Debatte meldet sich nochmals CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt zu Wort. Er hatte das Parlament als Sprecher der vorberatenden Kommission während der vorhergehenden Tage durch die komplexe Vorlage gelotst. «Bitte verhalten Sie sich so, wie man es von räsonablen Volksvertreterinnen und -vertretern erwarten kann», appelliert er noch einmal an den Rat. «Einigen wir uns doch jetzt auf ein CO2-Gesetz, welches seiner Funktion als Klimaschutzgesetz auch gerecht wird. Stimmen wir ihm daher in der Gesamtabstimmung so zu!»

Doch sein Appell verhallt ungehört im Saal, auch der Auftritt der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard kann daran nichts mehr ändern. Als es zur Schlussabstimmung kommt, ist die Vorlage so stark verwässert, dass die linken Parteien dem Gesetz ihre Unterstützung verweigern. 69 Ja-Stimmen zu 90 Nein-Stimmen. So lautet am Ende das ernüchternde Abstimmungsergebnis.

Rückblickend wirkte der Nationalrat auf mich während dieser vier Tage wie ein Haufen überforderter Kinder, die gemeinsam ein Schloss aus Bauklötzen errichten sollen. Die einen wollen starke Mauern, die anderen Schlupflöcher und heimliche Hinterausgänge. Am Ende sind alle unzufrieden und stossen das Gebilde um.

Kurz nach dem Jahreswechsel trete ich aus der Zürcher Bahnhofshalle unter den Winterhimmel und stapfe durch den Schnee aufwärts in Richtung der ETH. An der Hochschule bin ich mit Reto Knutti verabredet, Atmosphärenphysiker und einer der führenden Klimaforscher im deutschsprachigen Raum. Er hat vor wenigen Monaten die Klimaszenarien für die Schweiz publiziert und gehört zu den Hauptautoren des fünften Klimaberichts des IPCC, des Weltklimarats. Nach der wirren Nationalratsdebatte bin ich auf der Suche nach einer nüchternen Stimme. Ich möchte erfahren, wie die Wissenschaft auf die gesellschaftliche Debatte blickt. Handeln Politik und wir Konsumenten aus wissenschaftlicher Sicht vernünftig? Ich bezweifle es.

Ein Vortrag für drei Nationalräte

Reto Knutti erwartet mich in einem der oberen Stockwerke des Departements für Umweltsystemwissenschaften. Auf einem Whiteboard in seinem Büro sind Verlaufsdiagramme und Formeln aufgezeichnet, daneben steht eine grosse Zimmerpflanze. Knutti, in Jackett und weissem Hemd, setzt sich an den runden Tisch in der Mitte des Raums, seine Augen blicken müde an diesem Morgen. Auf die Debatte im Nationalrat angesprochen, zieht er die breiten Schultern in die Höhe und lässt sie wieder fallen. «Ich war leicht frustriert. Was wir da gehört haben, war zu einem grossen Teil losgelöst von jeglichen Fakten.»

Damit spricht er insbesondere die Frage an, ob die Schweiz den CO2-Ausstoss im Inoder Ausland reduzieren soll. Zu behaupten, es spiele keine Rolle, wo die Schweiz reduziere, sei faktisch falsch. «Wir können den Klimawandel nur dann aufhalten, wenn jedes Land innerhalb der eigenen Grenzen den Ausstoss reduziert», sagt Knutti.

Politische Entscheide in Sachen Klimaschutz müssen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden. Davon ist er überzeugt und dafür setzt er sich ein. Offenbar mit wenig Erfolg. Knutti erzählt mir, wie er zusammen mit weiteren Wissenschaftlern vor der Wintersession die Nationalrätinnen und Nationalräte zu einem Vortrag eingeladen hatte. «Wir wollten den aktuellen Stand der Forschung aufzeigen und darlegen, welche Klimaschutzund Kompensationsmassnahmen aus wissenschaftlicher Sicht wirksam sind.» Zu der Veranstaltung in der Nähe des Bundeshauses seien etwa drei Nationalräte erschienen. «Wenn ich sehe, wie unzureichend der wissenschaftliche Konsens in den politischen Klimadebatten repräsentiert wird, kann man sich fragen, weshalb es uns Forscher überhaupt noch braucht.»

Reto Knutti erinnert mich an den deutschen Klimatologen, dessen Interview am Anfang dieser Recherche stand. Ein Forscher, der mit wachsender Verzweiflung beobachtet, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse im öffentlichen Diskurs verhallen. «Als Forscher haben wir eine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Erkenntnisse gehört werden», sagt Knutti. Angetrieben von dieser Überzeugung und seiner Sorge um die Zukunft, ist Knutti während der vergangenen Jahre zu einer lauten Stimme in der Klimaschutzdebatte geworden. Er verteidigt die Fakten, und dafür wird er von verschiedenen Seiten immer wieder kritisiert. Er gibt fast jede Woche ein Interview, äussert sich auf dem ETH-Blog und in den Sozialen Medien. Er weiss um den schmalen Grad zwischen Forschung und Aktivismus, auf dem er sich bewegt. «Uns läuft die Zeit davon. Dabei wüssten wir seit vielen Jahrzehnten, was zu tun wäre: Weg kommen vom CO2!», sagt er. Inzwischen tun es ihm viele seiner Forscherkollegen gleich und setzen sich dafür ein, dass die Fakten gehört werden. Ohne wirkungsvolle politische Vorgaben, ist Knutti überzeugt, werden wir eine Erwärmung von mehr als zwei Grad nicht mehr abwenden können. «Vielleicht ist deshalb die entscheidendste Frage, welche Politiker wir in die Ämter wählen.»

Gewissheit, die Mut macht

Ich fahre im Zug durch das verschneite Land und denke zurück an die vergangenen Monate. Versagende Politiker, Freunde, die das Thema verdrängen, Forscher, die an der Wirkung ihrer eigenen Arbeit zweifeln. Dieser Text könnte pessimistisch enden, wäre da nicht jene neue Klimabewegung, die sich in den vergangenen Monaten gebildet hat. Bereits zu Beginn meiner Recherchen las ich von einer Schülerin aus Schweden, die jeden Freitag vor dem Parlament mehr Klimaschutz fordert und dafür die Schule schwänzt. Das war im Spätherbst und Greta Thunberg noch weitgehend unbekannt. Inzwischen ist die 16-Jährige das Gesicht einer weltweiten Bewegung, die mehrheitlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen angetrieben wird.

Noch vor einem Jahr hatte ich mich gefragt, wo die Demonstrationen für mehr Klimaschutz bleiben. Heute streiken in ganz Westeuropa Schülerinnen und Schüler für mehr Klimaschutz. Als ich vor ein paar Tagen den demonstrierenden Jugendlichen durch die Stadt folgte, standen plötzlich mein elfjähriger Göttibub und seine ältere Schwester neben mir und skandierten den Slogan, der sich quer durch die westliche Hemisphäre verbreitet: «What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!»

Die Schülerinnen und Schüler haben bereits viel bewirkt. Die Medien füllen sich mit Berichten und Diskussionen zum Klimaschutz. Die FDP, welche im Nationalrat zuletzt half, ein wirksames CO2-Gesetz zu verhindern, denkt im Wahljahr 2019 mit einem Mal laut über einen Richtungswechsel nach. Die Stadt Basel hat vor wenigen Wochen in einem primär symbolischen Akt den Klimanotstand ausgerufen. Und meine ehemals vielfliegenden Freunde reisen nun in ihren Ferien mit dem Nachtzug nach Italien.

Während meiner Recherche ist der Klimawandel mitten in unserer Gesellschaft angekommen. Endlich hat ein breiter Dialog darüber begonnen, wie wir ihn stoppen können. Es ist an der Zeit, dass wir alle in den Spiegel schauen und uns fragen: Wie gross ist meine Verantwortung? Und was kann mein Beitrag gegen die Erwärmung unseres Planeten sein?

In mir ist eine Gewissheit herangereift, die mir Mut macht: Die Zeit des Verdrängens ist vorbei. Niemand kann sich dem Thema mehr entziehen. Die Auseinandersetzung mit unserer Verantwortung – sei es laut und sichtbar an einer Demo, sei es still und eingekehrt mit sich selbst – ist unausweichlich geworden. Es bleibt die Frage: Werden aus unseren Gedanken und Worten auch Taten? Die Antwort darauf müssen wir selber finden. Jeder Einzelne von uns.