Ausschaffungen: Bund verdoppelt Haftplätze für abgewiesene Asylsuchend

Das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut liegt dort, wo die Schweiz endet. Am äussersten Stadtrand von Basel, 100 Meter von der Landesgrenze entfernt. Wenn die Insassen aus den Fenstern blicken, sehen sie die Schnellstrasse und die dahinterliegenden Geleise, wo der Fernverkehr in Richtung Deutschland rollt. Für die Menschen im Bässlergut hat der freie Personenverkehr keine Gültigkeit. In den Zellen sitzen jene, die in der Schweiz unerwünscht sind: Personen mit Landesverweis oder ohne gültige Aufenthaltsbewilligung, zum allergrössten Teil abgewiesene Asylsuchende. Manche von ihnen bleiben nur für wenige Wochen in Haft, andere warten hier länger als ein Jahr auf ihre Ausschaffung.

Die Ausschaffungshaft, auf Amtsdeutsch auch Administrativhaft genannt, dient der Wegweisung einer Person aus der Schweiz und soll deren Untertauchen verhindern. Die Kantone können damit Menschen bis zu 18 Monate in Haft nehmen, ohne dass diese eine Straftat begangen haben. Das ist in den Bestimmungen über Zwangsmassnahmen im Ausländergesetz festgehalten. Statistisch wird schweizweit jede fünfte Person mit einem negativen Asylentscheid zu einem gewissen Zeitpunkt inhaftiert. Im Schnitt wurden in den letzten sieben Jahren jährlich 5700 Personen in Administrativhaft genommen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, planen Bund und Kantone nun eine massive Aufstockung und wollen die bestehenden rund 400 Haftplätze in den nächsten Jahren knapp verdoppeln.

Über die Hintergründe und die Folgen des Ausbaus informieren Bund und Kantone äusserst zurückhaltend. Klar ist: Geplant sind 320 zusätzliche Plätze für Ausschaffungshaft. Bestehende Haftanstalten sollen umgenutzt, neue gebaut werden. Voraussichtliche Kosten: Mehr als 120 Millionen Franken. Teilweise laufen die Bauarbeiten bereits. Die Aufstockung ist eine direkte Folge der Asylreform, die das Stimmvolk im Sommer 2016 deutlich angenommen hat. Ab Frühjahr 2019 tritt das reformierte Asylverfahren in Kraft.

Mehr inhaftieren, mehr ausschaffen

Dazu gehört, dass Asylsuchende neu in sogenannten Bundeszentren untergebracht werden. Etwa 60 Prozent aller Gesuche sollen dort innerhalb von 140 Tagen rechtskräftig entschieden und abgewiesene Asylsuchende direkt zurückgeführt werden. Deshalb entstehen die neuen Haftplätze alle in unmittelbarer Nähe der Bundeszentren. SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, auf deren Initiative hin das neue Asylverfahren ausgearbeitet wurde, bezeichnete dieses als «schneller, fairer und günstiger». Wem Asyl gewährt wird, der soll mit dem neuen Verfahren rascher eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung erhalten als heute, wem das Asyl verweigert wird, der soll die Schweiz so rasch wie möglich wieder verlassen.

Auf Nachfragen zum geplanten Ausbau reagieren die Behörden ausweichend. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) teilt mit, der Ausbau sei notwendig, um «eine gewisse Schwankungstauglichkeit» zu gewährleisten für den Fall, dass die Zahl der Asylgesuche steige. In den vergangenen Jahren klagten einzelne Kantone immer wieder über fehlende Administrativhaftplätze und forderten eine Erhöhung der Kapazitäten. Zudem seien insgesamt mehr Plätze notwendig, um «die angeordneten Wegweisungen» zu vollziehen, schreibt das SEM.

Welche Strategie tatsächlich hinter dem Ausbau steckt, zeigt ein Bericht aus dem Jahr 2014, verfasst vom Bundesamt für Migration, der Vorgängerbehörde des Staatssekretariats für Migration. Titel: «Erläuternder Bericht. Verordnungsanpassungen zur Haftplatzfinanzierung auf der Grundlage von Artikel 82 des Ausländergesetzes». Das Bundesamt erklärt darin unmissverständlich die Absichten hinter dem Ausbau: Die Behörde rechnet damit, dass die Kantone durch die zusätzlichen Haftplätze «vermehrt und zu einem früheren Zeitpunkt» Ausschaffungshaft gegen Personen anordnen können als heute. Davon verspricht sich der Bund eine «Erhöhung der zwangsweisen Ausreisen» – sprich Ausschaffungen – und eine Zunahme von freiwilligen Ausreisen. Die Motivation dahinter ist eine finanzielle. Die Schweiz unterstützt abgewiesene Asylsuchende über die Nothilfe mit bis zu 70 Millionen Franken im Jahr. Wie aus dem Bericht hervorgeht, erhoffen sich Bund und Kantone eine Senkung dieser Kosten, wenn mehr Menschen ausgeschafft werden oder die Schweiz freiwillig verlassen. Zudem soll die Verschärfung der Praxis weitere Asylsuchende abschrecken. Es sei davon auszugehen, schreibt das Bundesamt, «dass sich durch einen konsequenten Wegweisungsvollzug die Attraktivität der Schweiz für Personen mindern lässt, deren Asylgesuch von vornherein aussichtslos ist» und die «lediglich auf eine lange Aufenthaltsdauer bzw. die Inanspruchnahme der damit verbundenen Leistungen zielen».

An der Grenze zur Legalität

Mehr Inhaftierungen, mehr Ausschaffungen, Abschreckung. Damit folgt die Schweiz einer Lesart von Migration, die – befeuert von Rechtspopulisten – seit einiger Zeit die europäische Politik prägt: Geflüchtete werden als sogenannte «Sozialschmarotzer» dargestellt, die von weither den Einfall in unsere Sozialsysteme planen. Die wahren Ursachen von Flucht sowie ihre immensen Risiken werden dabei ausgeblendet. Die Pläne der Behörden drängen weitere Fragen auf: Mit welcher Zunahme bei den Inhaftierungen muss in Zukunft gerechnet werden? In welchen Fällen soll vermehrt Haft angeordnet werden? Werden in Zukunft abgewiesene Asylsuchende direkt ab den Bundeszentren in Haft genommen? Und wie stark soll die Zahl der Ausschaffungen steigen? Konzise Antworten auf diese Fragen liefern die Behörden keine. Obwohl der Bericht von 2014 die geplante Strategieänderung klar belegt, sagt das SEM auf Anfrage: «An der Praxis ändert sich nichts. Die Anordnung von Administrativhaft erfolgt dort, wo dies das Gesetz vorsieht.» Ähnlich formuliert es auch die Kantonale Justizdirektorenkonferenz, welche den Ausbau der Haftplätze aufseiten der Kantone koordiniert. «Es gibt eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichts für Administrativhaft. An dieser wird sich in Zukunft nichts ändern», sagr Generalsekretär Roland Schneeberger.

Was die Behörden unerwähnt lassen: Die Kantone haben einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Anordnung von Ausschaffungshaft und nutzen diesen äusserst unterschiedlich. Das zeigt ein Bericht zur Administrativhaft im Asylbereich, den die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) im Juni veröffentlicht hat. Wie daraus hervorgeht, ordnet ein Kanton wie Genf beispielsweise nur zurückhaltend Administrativhaft an, während ein Kanton wie Obwalden den gesetzlichen Spielraum konsequent ausschöpft und überdurchschnittlich oft abgewiesene Asylsuchende inhaftiert. Grosse Unterschiede bestehen auch im Umgang mit Minderjährigen. Während manche Kantone grundsätzlich keine minderjährigen Asylsuchenden inhaftieren, geschieht das unter anderem im Kanton Bern häufig. Der Bericht der GPK kommt zum Schluss, dass manche Kantone öfter Haft anordnen, als erforderlich wäre. Etwa dann, wenn eine Ausschaffung nicht umsetzbar ist oder eine Person auch freiwillig ausgereist wäre. «Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob diese kantonalen Unterschiede rechtmässig sind», sagt SVP-Nationalrat Alfred Heer, der die zuständige Subkommission geleitet hat. Die Kommission vermutet, dass gewisse Kantone mit der unverhältnismässigen Anordnung von Haft gegen geltendes Recht verstossen. Die GPK fordert den Bundesrat deshalb auf, eine Vereinheitlichung der Praxis zu prüfen. Damit die Administrativhaft überall «zweckmässig» und «unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben» eingesetzt wird. Dass also Ausschaffungshaft nur dann angeordnet wird, wenn diese aus rechtlicher Sicht tatsächlich erforderlich und legitim ist.

Während einerseits die GPK eine weniger restriktive Anordnung von Administrativhaft fordert, will der Bundesrat andererseits strengere Kantone in Zukunft belohnen. Der Bund will die Kantone dazu animieren, mehr kontrollierte Wegweisungen zu vollziehen als bisher, auch das ist Teil der Asylreform. Als kontrollierte Wegweisungen gelten sowohl Ausreisen, bei denen Personen von der Polizei bis zum Flughafen begleitet werden und selbständig zurückfliegen, wie auch Ausschaffungen unter Zwang und im Sonderflug. Solche kontrollierten Ausreisen erfolgen in eine deutliche Erhöhung der Haftkostenpauschale beschlossen. Ausschaffen statt integrieren – so lautet also das neue Anreizmodell des Bundes.

In der Öffentlichkeit wie in der Politik sind Ausbau und Strategiewechsel kaum ein Thema. Juristen und Menschenrechtsorganisationen wissen nur vage über die Ausbaupläne Bescheid. «Wir haben keine genauere Kenntnis darüber, wie sich der Ausbau auf die Asylverfahren auswirken wird», sagt etwa Denise Graf, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International. Angefragte Rechtsberater befürchten, die Kantone könnten in Zukunft vermehrt sogenannte Beugehaft anordnen oder verstärkt Asylsuchende inhaftieren, welche unter die Dublin-Verordnung fallen – Personen also, die bereits in einem anderen Dublin-Staat registriert wurden und folglich dort ihr Asylgesuch stellen müssten. Sämtliche angefragten Politikerinnen und Politiker waren über den Ausbau der Haftplätze nicht im Bild, darunter SP-Nationalrätin Mattea Meyer, ansonsten in Sachen Asylbereich gut informiert. «Dieses Projekt war in den letzten Jahren politisch kaum ein Thema», sagt sie.

Brandanschläge gegen Baufirmen

Diskutiert wurde der Ausbau der Haftplätze in der Debatte über das neue Asylgesetz nur kurz im Dezember 2012. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, in welchem Umfang sich der Bund an den Baukosten beteiligen solle. «Wenn wir wollen, dass weniger Asylsuchende untertauchen, dann brauchen wir in den Kantonen mehr Haftplätze», sagte Bundesrätin Simonetta Sommaruga damals vor dem Parlament.

Widerstand gegen die Pläne kommt in der Deutschschweiz nur aus linksautonomen Kreisen. Im Raum Basel haben Unbekannte vergangenes Jahr mehrere Fahrzeuge von Baufirmen angezündet, die den Ausbau durchführen, Ziel der Aktionen waren auch Wagen der Basler Polizei. Zu den Aktionen äussern will sich niemand. In den vergangenen Monaten fanden auch mehrere Kundgebungen gegen den Ausbau statt. Ein anonymes Kollektiv publiziert zudem ein Magazin mit dem Titel «Fiasko», das die Asylpolitik und den Ausbau angeprangert. Gesellschaftlich breiter abgestützt ist der Widerstand in der Westschweiz, wo sich das Bündnis «Stop Exclusion» gegen den Ausbau der Haftplätze wehrt und eine Petition mit 3000 Unterschriften eingereicht hat. Aussicht auf Erfolg hat sie keine.

Was Ausschaffungshaft für die Betroffenen bedeutet, weiss Anni Lanz. Die 72-Jährige gilt als wichtige Fürsprecherin von abgewiesenen Asylsuchenden und besucht seit über zwölf Jahren schweizweit Menschen in Ausschaffungshaft. 2004 erhielt sie von der Universität Basel für ihr Engagement die Ehrendoktorwürde, sie präsidiert auch das Solidaritätsnetz der Region Basel. Lanz berichtet vom hohen Leidensdruck der Inhaftierten. Ein Mann, den sie regelmässig besucht, wird seit zwölf Monaten im Basler Bässlergut festgehalten. Er ist im Senegal geboren, besitzt aber gemäss seinen Anwälten die französische Staatsbürgerschaft. Weil Frankreich nicht zu einer Rückübernahme bereit ist, muss er weiter ausharren. Bis die Behörden ihn ausschaffen oder nach spätestens 18 Monaten wieder auf freien Fuss setzen. Zweimal am Tag darf er im engen Innenhof spazieren. Von 17 Uhr bis um 7 Uhr bleibt er in seiner kleinen Zelle eingeschlossen, die er mit drei weiteren Personen teilt. Die Insassen dürfen keinen Computer benützen, nicht muszieren und haben keinen Internetzugang. «Die Haftbedingungen sind zermürbend», sagt Lanz. Dass die Ausbaupläne des Bundes in der Öffentlichkeit kaum ein Thema sind, erstaunt sie nicht. «Anders als Asylsuchende haben Abgewiesene so gut wie keine Lobby.» Die Menschen in Administrativhaft, sagt sie, seien den Behörden ausgeliefert.